Die historischen Figuren sind genau das, nämlich historisch, weil sie auf die ein oder oder andere Weise den Geist einer Epoche verkörpern und deshalb auch ihre eigene Zeit transzendieren. Ernesto Guevara de la Serna, kurz "der Che", ist so eine Figur. Geboren wurde er in Argentinien, er durchstreifte verschiedene Länder Südamerikas, in Kuba war er dann auf dem Höhepunkt seines Ruhms angelangt. Sein tragischer Tod in Bolivien trug dazu bei, ihn zu einem der wichtigsten Protagonisten des zwanzigsten Jahrhunderts zu machen.
Als es am 23. März 1967 zum ersten Hinterhalt bei dem Ñacahuasu-Fluss kam, begann damit die bewaffnete Konfrontation zwischen der Guerilla-Gruppe und der bolivianischen Armee. Dabei zählten die Truppen des Che weniger als vier Dutzend – darunter 23 Bolivianer, 16 Kubaner, drei Peruaner, zwei gebürtige Argentinier, er selbst und Tania – ohne die zwei "Besucher", vier Aussteiger und zwei Deserteure mitzuzählen. Dennoch sah der Saldo zwischen März und Oktober für ihn noch günstig aus. Insgesamt brachte die Guerilla der Armee Verluste von 49 gefallenen Soldaten bei, etwa genauso viele Verletzte und nahm zahlreiche Gefangene. Zudem erbeutete sie eine beachtliche Menge an Waffen und Proviant. Schließlich gelang ihr am 6. Juli die spektakuläre Eroberung der Ortschaft Samaipata, an der Autobahn von Cochabamba nach Santa Cruz gelegen.
Von tausenden Soldaten belagert
Doch ihre Aktionen waren von Anfang an völlig isoliert. Es war nicht einmal mit Sicherheit bekannt, ob der Che sie kommandierte. Er hatte nichts als die diffusen Sympathien der linken Parteien und potenzielle Verbünde wie die Bergarbeiter, die unterdessen – am 24. Juni – eine brutale "Präventivaktion" erlitten, die als "Massaker von San Juan" in die Geschichte einging. In einem Hinterhalt vom 31. August war seine Nachhut eliminiert worden und am 26. September fielen drei der kämpferischsten Mitglieder seines Stroßtrupps. So war der Che Anfang Oktober, als er schon von Tausenden von Soldaten belagert war, in einer verzweifelten Lage.
Bildergalerie: "Che Guevara"
Unter diesen Bedingungen, und mit den gerade mal 17 Männern, die ihm geblieben waren, wurde er in der Bergschlucht von el Churo in das Gefecht gezwungen. Am 8. Oktober wurde er um die Mittagszeit von einem Trupp von US-Ausbildern trainierter Ranger-Soldaten gefangengenommen; er war an der Wade verletzt, sein Gewehr funktionierte nicht mehr. Bei ihm geblieben war nur "Willy", ein bolivianischer Bergarbeiter namens Simeón Cuba. Man brachte beide in das Dorf La Higuera und schloss sie in einer kleinen Schule ein. Am nächsten Tag wurden dort beide hingerichtet – auf "Befehl von oben".
Welle der Erschütterung und Radikalisierung
Die Ereignisse in Bolivien lösten eine Welle der Erschütterung aus. Wie kaum jemals zuvor zog das Land weltweite Aufmerksamkeit auf sich. Im Land selber radikalisierten sich weite Teile der Bevölkerung, vor allem junge Menschen, und wurden zu glühenden Bewunderern des romantisierten Heroismus des Che Guevara und seinen Männern, die aus dem Herzen des Kontinents heraus versucht hatten, den Lauf der Geschichte in Lateinamerika und der ganzen Welt zu verändern. Selbst die bolivianischen Militärs ließen sich von dieser Strömung mitreißen, auch wenn sie dies nicht explizit zugaben: Zwischen 1969 und 1971 betrieben sie eine Politik der Nationalisierungen und anderer Maßnahmen, die allgemein als patriotisch und antiimperalistisch gelten.
Aber Bolivien war ja keine Insel. Welches waren die Ereignisse, die die Weltbühne zu jener Zeit beherrschten? Zuallererst Vietnam. Mitte der sechziger Jahre hatte die nordamerikanische Intervention im südöstlichen Asien gigantische Ausmaße angenommen: Von 23.000 Soldaten im Jahr 1964 stieg die Anzahl in schwindelerregende Höhen und war 1968 auf eine halbe Million angewachsen. Die Bodenkämpfe zwischen US-Soldaten und den vietnamesischen Guerillakräften fingen genau um diese Zeit an und hörten nicht auf bis zur endgültigen Niederlage der USA, im April 1975. In seiner berühmten Grußbotschaft an die Völker der Welt, die der Che vor seiner Abreise nach Bolivien geschrieben hatte und die im April 1967 verlesen wurde, verglich er die Solidarität der progressiven Welt mit Vietnam mit dem verbalen Anfeuern der Gladiatoren durch die Zuschauer. Die Botschaft war unmissverständlich: "Schafft ein, zwei, viele Vietnams...". Dies war genau das, was der Che in Bolivien versuchte.
Fakten und Figuren miteinander verwoben
Wenig später kam es dann im Jahre 1968 zum Pariser Mai mit seinen weitreichenden Echos. Die verstaubten ideologischen und institutionellen Raster, die bei der Rechten wie bei der Linken vorherrschten, wurden durch die hurrikanartigen Winde der Rebellion völlig durcheinandergewirbelt. "Alles ist möglich", "die Phantasie an die Macht" und "Verboten verbieten" war die Tonlage jener Tage, und daneben hingen die Porträts vom alten Marx, von Lenin, Trotzki, Mao, Ho Chi Minh, Fidel Castro und von Che Guevara. Situationen, Fakten und Figuren waren alle miteinander verwoben.
Unter dem Einfluss dieser Vorkommnisse und vom kubanischen Impuls beflügelt, verbreiteten sich in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern bewaffnete Bewegungen, die vor allem von jungen Menschen vorangetrieben wurden. Eine Welle der Opferbereitschaft breitete sich aus, auf die die von Washington gestützten Militärdiktaturen mit einer vernichtenden Völkermordpolitik reagierten. Eine davon war die Banzer-Diktatur in Bolivien, die von 1971 bis 1978 herrschte. Was darauf folge, war die sukzessive Etablierung der neoliberalen Modelle. Nachdem die Utopien der großen Veränderung mit Gewalt und für immer ausgelöscht schienen, wurde nunmehr die Wiedererlangung der demokratischen Freiheiten zum einzigen Programm, das in Reichweite lag.
Popularität bis heute ungebrochen
Doch seit Beginn des neuen Jahrtausends, unter gänzlich anderen lokalen, regionalen und weltweiten Bedingungen als noch in den sechziger und siebziger Jahren, kommt nun erneut ein Wind der Veränderung auf. Eine neue Generation betritt die Bühne und ihre Politikentwürfe, auch wenn sie ein eigenes Profil haben und nicht die unglücklichen Erfahrungen der Vergangenheit wiederholen, sind doch in gewisser Weise mit dem Gedankengut jener Jahre verwandt. Und auch das symbolische Bild des Che taucht im Hintergrund wieder auf. Der erste indigene Präsident Boliviens, Evo Morales, erwähnte in seiner Antrittsrede vom 22. Januar 2006 den Che als einen seiner Vorgänger, er hing ein riesiges Porträt von Che im Regierungspalast auf und ehrte ihn bei den Gedenkveranstaltungen zum 40. Jahrestages seiner Ermordung.
Vermutlich hat Evo Morales Ayuma niemals Kenntnis erhalten von einem nahezu unbekannten Entwurf eines Aufrufs, den der Che einst in Ñacahuasu verfasste und wo er den mobilisierenden Slogan formulierte: "Demokratisierung des Landes mit der aktiven Beteiligung der wichtigsten ethnischen Gruppen an den großen Entscheidungen der Regierung". Konkret gefordert wurde die Kultivierung und Technifizierung des Landes in den einheimischen Sprachen, die Ausrottung jener Geißeln, die in anderen Ländern schon längst nicht mehr existieren, die Teilhabe von Arbeitern und Bauern an der Planung, die Nutzung des natürlichen Erzreichtums und des fruchtbaren Bodens sowie die Entwicklung der Kommunikationsinfrastruktur, "um aus Bolivien ein großes geeintes Land zu machen und nicht einen fragmentierten Riesen, in dem die Departements und Provinzen einander fremd sind".
Che Guevara als Symbol des Kampfes
Vermutlich hat auch der Che selber den programmatischen Vorschlägen für Bolivien nicht allzu viel Aufmerksamkeit geschenkt, da es ihm ja zuerst um einen kontinentalen Plan ging, dessen Höhepunkt seine Rückehr als Kämpfer nach Argentinien werden sollte. Und später ging es dann vor allem um das Überleben seiner verwahrlosten und ausgehungerten Truppe. Was verbindet also ein Projekt des bewaffneten Kampfes aus dem Jahre 1967, das keinerlei Rückhalt im Volk hatte, mit den sozialen Bewegungen von Bauern und Indigenen, die im Rahmen einer demokratischen Legalität kämpften und bei den Wahlen Ende 2005 schließlich gewannen?
Für die Antwort gilt es Folgendes zu bedenken: Das symbolische Bild des Che wurde zu einer Ikone, die überall auf der Welt den Kampf der Armen, der Parias und Ausgegrenzten begleitet. Und jene Kämpfe, die aus den sechziger und siebziger Jahre hervorgegangen sind: ein wiederbelebter Humanismus, eine visionäre Ökologiebewegung, die radikale Demokratie, die noch immer unerreichte soziale Gleichheit und der lang ersehnte Respekt zwischen den Völkern und Nationen. Und somit, mutatis mutandis (mit den nötigen Veränderungen) haben die alten Schlachtrufe von Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichheit, die endlich ihre ausschließlich liberalen Fesseln abgelegt haben, heute wieder neue Gültigkeit erlangt.
Carlos Soria Galvarro T.,
Schriftsteller und Publizist aus Bolivien, Herausgeber der fünfbändigen Dokumentation "El Che en Bolivia: Documentos y testimonios" (La Paz, 1992 und 2005)
Übersetzung: Anne Huffschmid
Copyright: Goethe-Institut, Online-Redaktion
Che Guevara – Icon of struggle
Historic personalities are such precisely because in one way or other they embody the spirit of an era and therefore they transcend their time. Ernesto Guevara de la Serna, Che, is one of them. He was born in Argentina, he wandered through several south american countries, reached the peak of glory in Cuba and his tragic death in Bolivia contributed in turning him to an esencial personality of the 20th century.
On march 23 in 1967 with the first big ambush at the river Ñacahuasu the armed conflict between the guerilla group and the bolivian army started. The troops of Che didn't even count with 50 people (23 Bolivians, 16 Cubans, 3 Peruvians and two born in Argentina, him and Tania), without counting 2 „visitors", 4 reported sick and 2 deserters. Even then from march to october the balance seemed favourable for Che. The guerilla caused 49 casualties among the bolivian troops, a similar number of wounded and many prisoners. They captured a decisive amount of weapons and goods. Furthermore on july 6th they took spectacularly the village of Samaipata on the road from Cochabamba to Santa Cruz.
Enclosed by thousands of soldiers
Nevertheless his acitivities were isolated and sporadic from beginning to end, and nobody knew for sure whether Che was in charge of them. He only counted on the diffuse sympahties of the leftwing parties and of society's sectors liable to be allies like the miners, who meanwhile had suffered from a brutal preventive sanction known as the "Masacre de San Juan" (june 24). The rearguard had been eliminated during an ambush on august 31 and on september 26 three hardened members of the advance guard fell. At the beginning of october, enclosed by thousands of soldiers, he was already in a desperate situation.
Diashow: "Che Guevara"
In this conditions and with only 17 men left he was forced to fight a battle in the gorge of El Churo. On sunday, october the 8th, wounded at the right calf and with an inoperative weapon, Che was taken prisoner by a sqadron of "ranger" soldiers, recently trained by US instructors. At his side was "Willy", a bolivian miner with the name of Simeón Cuba. After being lead to the little village of La Higuera both were executed "by superior order" the following day in the little school, where both had been kept prisoners.
Commotion and radicalization
The impact these events had on Bolivia was shattering. Like seldom before the country was at the centre of the world's attention. On the other hand many sectors of society, above all the youth, grew more radical in their political convictions, starting to admire fervently the romantic heroism of Che and his men, who at the continent's heart tried to alter the wake of south american and the world's history. Even the bolivian military, without admitting it officially, let themselves be carried away by this tide, for between 1969 and 1971 they promoted nacionalizing and other measures regarded as patriotic and aintiimperialistic.
But Bolivia is not an island. So, what events where at the time the centre of attention on the world's stage? In the first place Vietnam. But by the middle of the 1960ies the north american intervention in the asian south west had grown gigantic, from 23.000 soldiers in 1964 the number increased vertiginously to over half a million in 1968. The frontal combats between marines and the vietnam guerilla forces started just during this period and did not stop until the final military defeat of the United States in april 1975.
In his famous message to the Tricontinental, published in april 1967 (written before leaving to Bolivia), Che compared the solidarity of the progressive world with Vietnam with the verbal stimulation the plebs offered the gladiators in Rome. The motto of the message was very clear: "To create two, three, many Vietnam...". And this is exactly what he tried to accomplish in Bolivia.
A netting of events and personalities
Then, in 1968, the french may came up with its vast repercussions. The crusted reigning ideological and institutional bases, being of the right or the left, were turned upside down by the storm of rebellion. The slogans "Everything is possible", "Imagination to power", Forbidding forbidden" along with portraits of old Marx, Lenin, Trotski, Mao, Ho Chi Min, Fidel Castro and Che Guevara set the tune of these days. Very suble bonds tied situations to events and to people.
In the wake of these events and the recurrent cuban impulse in several south american countries armed projects started to spred, specially fed by the youth. A wave of disposition to sacrifice rolled, encountered by the crushing genocide of the military dictatorships promoted in Washington, including the one of Banzer in Bolivia (1971-1978) and the resulting establishment of neoliberal conditions. Since the transforming utopies seemed to be eradicated by fire and blood and for ever, the lukewarm reinstallation of democratic liberties passed to be the only achievable programmatic goal.
Lasting popularity
Nevertheless, as we enter a new millennium under local, regional and worldwide circumstances very different to those of the 1960ies and 70ies, the winds of change reappear. A new generation appears and its proposals, even with its own colours and without repeating the failed experiences of the past, somehow are related in essence to the ideals of those years. And the symbol of Che reappers in the background. In Bolivia, the first indigene assuming the presidency in his first speach on january 22 in 2006 mentions Che as one of the precursors, places a huge portrait of him in the government palace and pays hommage at the 40th anniversary of his assassination.
Probably Evo Morales Ayma never would have learned that in an almost unknown discours outline conceived in Ñacahuasu Che had written as a stirring motto: "Democratization of the country's life with active participation of the main ethnic groups at greater government decisions." The motto appears together with cultivation and technification in endemic languages, abolition of flagella already abolished in other countries, participation of workers and peasants in planing, exploitation of mineral resources and the land's fertility, and infrastructural development "to turn Bolivia into a great unified country instead of being a divided giant with departments and provinces strangers to each other".
Che Guevara as a symbol for struggle
It ist also quite possible that Che himself put little attention to a programmatic concept for Bolivia, convinced as he was for one thing in a plan of continental magnitude pivoting around his combatant return to Argentina. And, then because he simply had to care for the survival of his emaciated and starving legion. Where is then the connection between a project of armed struggle without popular support like the one of 1967 and the peasant indigenous social movements following democratic procedures and winning the elections at the end of 2005?
The answer lies in: the symbolic image of Che, an icon accompanying the struggle of the poor, the desinherited and excluded all over the world. And in the flags raised by the events in the 1960ies and 70ies, humanism reborn, visionary ecological ideas, radical democracy, unreached social equality and longed for respect between nations and countries. Mutatis mutandis (with some change undergone) the old mottoes of liberty, fraternity and equality, freed of their liberal bonds, turned to gain importance.
Carlos Soria Galvarro T.,
Bolivian journalist and author. Among other books he published "El Che en Bolivia: Documentos y testimonios" (Che in Bolivia: documents and testimonies), La Paz, 1992 and 2005.
Translation: Antonio Seidemann
Copyright: Goethe-Institut, Online-Redaktion